Leseproben


Leseproben aus Bühnenwerken von Katharina Stöllner


"Davids Stern"

Szene 2:

Im Studio (1)

Johanna und Katrin stellen ihre Sendung vor. David Goldbach erzählt seine (wahre) Geschichte. Er ist Zeitzeuge der Uraufführung von "Brundibar". Als Kleinkind hat er damals miterlebt, wie seine Schwester die Aninka spielen durfte. Im Konzentrationslager. Nun wurde ihr Gedenk- oder Stolperstein eingeweiht.

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Musik: Jingle (Instrumental)

Johanna: Willkommen im Studio. Willkommen in unserer Sendung "Stolpersteine".

Katrin: Auch heute beschäftigen wir uns wieder mit Menschen. Mit Menschen die uns zum Nachdenken anregen wollen. Mit Menschen die uns zum Nachdenken anregen müssen.

Johanna: Zu Gast bei uns, ist heute David Goldbach. David ist nicht nur Kulturschaffender, Vater und Opa. David ist vor allem ein wach durchs Leben reisender, ein immer neugieriger, die Welt erforschender Geist.

Katrin: Sein Leben war geprägt vom Interesse an allem was "die Welt im Innersten zusammenhält". Johanna: Menschen sind es, die ihn locken, sich an Projekten zu beteiligen. Menschen und ihre Geschichten, ihre Gedanken, ihr Herzblut. David möchte das Spannende im Alltäglichen entdecken. Er will die Unterhaltung zweier Wohnsitzloser an der Bushaltestelle auf die Bühne der Staatsoper zaubern.

Katrin: Wir werden gemeinsam mit ihm zurückblicken. Zurück auf den Grundstein, den Stein des Anstoßes, den Auslöser für Davids Interesse am Theater machen.

Johanna: Wie der Name unserer Sendung bereits verrät, geht es um Stolpersteine. Heute nennt man sie Gedenksteine. Um Steine die an Verfolgte Menschen aus der Zeiten des Nationalsozialismus erinnern sollen. Auch David Goldbach hat damals auf seiner Kleidung einen gelben Stern getragen.

Katrin: Seine Schwester Greta bekommt nun einen solchen Stolper- Gedenkstein. Sie war eins der Kinder, das bei der Uraufführung von Krasas "Brundibar" mitwirken durfte und hier wollen wir ansetzen. David, darf ich dich bitten uns ein wenig über diese Oper und ihre Entstehung zu erzählen?

David: Gerne. Ich freue mich, hier sein zu dürfen. Spannend, gemeinsam mit euch noch einmal in meine Kindheit einzutauchen.

Johanna: Wir freuen uns sehr, dass du dir die Zeit nimmst.

David: Ja… Brundibar. Ein aufregendes Kapitel in meinem Lebenstagebuch. Man erzählt sich ja immer gerne, Brundibar wäre im Konzentrationslager entstanden. In Wirklichkeit ist das Stück aber schon 1938 für einen Wettbewerb des tschechoslowakischen Ministerium für Schulwesen und Volksbildung geschrieben worden. Krasa hat seinen "Brundibar" damals zwar zum Wettbewerb eingereicht, der hat dann allerdings aufgrund der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland nicht mehr stattgefunden.

Katrin: Wer hätte das Werk denn spielen dürfen, wenn kein Krieg ausgebrochen wäre?

David: Otto Freudenfeld der damalige Direktor des Prager jüdischen Waisenhauses hatte für Juli 1941 ein Fest zu seinem 50sten Geburtstag geplant. Es hätte mit allen Waisenkindern und begleitet von diversen Künstler:innen gestaltet werden sollen. Hier war auch Hans Krasa eingeladen, der sein Bühnenwerk zur Verfügung stellen wollte. Der Dirigent Rafael Schächter hatte nun mit Unterstützung des Komponisten begonnen, das Werk "Brundibar" einzustudieren.

Im November 1941 begann dann aber die Deportation der tschechischen Juden in das KZ Theresienstadt. Rafael Schächter kam mit einem der ersten Transporte an, Hans Krása im August 1942. Auch alle Kinder aus dem Waisenhaus wurden nach und nach ins KZ Theresienstadt deportiert.

Johanna: Wie kam das Stück ins Konzentrationslager? Hat Krasa es auswendig niedergeschrieben?

David: Auswendig nicht ganz, aber mit Hilfe eines einfachen Klavierauszuges. Sein Freund Rudolf Freudenfeld hatte es geschafft einen Klavierauszug ins Lager zu bringen. Dort hat Krasa aus diesem Grundgerüst die gesamte Orchesterpartitur erneut niedergeschrieben und die Oper wurde einstudiert.

Katrin: Wie lange wurde geprobt? Gab es ein Bühnenbild und wie oft durfte die Oper aufgeführt werden?

David: Das Bühnenbild bestand aus einem Bretterzaun, geprobt wurde eineinhalb Monate und

die Oper wurde tatsächlich fünfundfünfzig Mal gespielt.

Johanna: Beeindruckend. Warum wurde das möglich gemacht. Warum wurde so etwas erlaubt?

David: So wohltuend und bereichernd die Inszenierung für alle Beteiligten im Lager war, so effektiv war sie für die Lagerleitung. Der Propagandafilm "Theresienstadt" hat zum Beispiel einen Ausschnitt aus der Oper verwendet, um zweifelnden Menschen vorzutäuschen, wie normal und glücklich die Deportierten dort lebten.

Johanna: Eine Grausame Zeit. Aber könnte man dennoch sagen, dass die Arbeit an diesem Theaterprojekt den teilnehmenden Kindern ein Stück Normalität und Lebensfreude zurückgegeben hat?

David: Ganz sicher sogar. Meine Schwester Greta durfte damals die Aninka spielen. Ich weiß noch, wie entscheidend ihr Mitwirken für ihr weiteres Leben und für ihr Überleben war. Hans Krasa und fast alle Ausführenden der Brundibarinszenierung hatten weniger Glück als meine Greta.

Schweigen.

Katrin: Blicken wir zurück auf ihr Werk. Würdigen wir diese Menschen, die durch ihre Kreativität, ihr soziales Wesen und ihren großen Mut dazu beigetragen haben, Kindern in einer furchtbaren Zeit ein wenig Normalität zu schenken. Menschen, die es gewagt haben, Farbe in graue Mauern zu tupfen. Die Musik, Theater, Tanz und vielleicht sogar ein Lachen zwischen die Bretterzäune gezaubert haben. Blicken wir auf "Brundibar".

Musik: Jingle (Instrumental)

"Kaskrainer"

Szene 4

Das Männlichkeitsseminar

Drei Männer treten auf. Alle im Anzug. Alle mit Handy am Ohr. Sie telefonieren mit ihren Frauen und erklären noch einmal warum es so wichtig ist zu diesem Männlichkeitsseminar zu fahren. Alle betonen dabei die männlichen Aktivitäten (Schießen uvm.). Alle legen gleichzeitig auf und bestellen erstmal ein Glas Sekt.

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Alle: Sekt!

Sie trinken das Glas auf ex.

Alle: Noch mal.

Sie setzen sich.

Thomas: Ich freu mich ja sehr, dass du dich dieses Jahr entschieden hast mit uns zu fahren!!!

Maximilian: Wird dir gefallen.

Christian: Ja. Ich bin ja auch schon echt gespannt. Die klassischen Workshops wie Schießen, Ringen und Kampfsport sind wirklich spannend.

Thomas: Jajaaaa, aber das ist ja der unwichtige Teil.

Maximilian: Entscheidend an diesem Wochenende ist Wellness.

Christian: Ja. Das ist eine überraschende Kombination. Ich hab gelesen, dass wir da jeden Abend eine Maske aus Tonerde und Gurke auftragen. Und morgens immer Yoga.

Thomas: Sonnengruß.

Maximilian: Genau. Der gute alte Sonnengruß.

Thomas: Man muss ja auch was gegen das Alter tun.

Maximilian: Ich merk´s schon um die Augen rum... kleine feine Fältchen.

Thomas: Ja. Man hat´s echt nicht leicht als Mann. Da ist die Pflegepalette noch ganz schlecht ausgebaut.

Maximilian: Ganz, ganz schlecht. Wenn ich mir da anschaue, was meine Carolin so alles im Regal stehen hat.

Thomas: Bedien dich doch!

Maximilian: Mach ich eh. Das Peeling mit Goldstaub ist ein Traum!!

Thomas: Also ich bin ja grade eher auf dem Entschlackungstripp.

Maximilian: Schlammpackung. Da schwör ich auf Schlammpackung!!! Wenn du dir die in Frischhaltefolie um den Bauch wickelst, ich sag´s dir. Da fühlst du dich 5 Jahre jünger.

Thomas: Ich weiß nicht so recht. Diese Folienwickel. Das macht ja meine Frau auch immer und da sehe ich bis heute keinen Unterschied. Ist ja auch nicht besonders kleidsam. Hat was von Presswurst, wenn man in so 'ner Folie durch s Haus marschiert.

Maximilian: Na, du sollst ja auch nicht marschieren. Wellness braucht Zeit. Aber du wirst eh als neuer Mensch zurückfahren. Ich sag´s dir. Ich hab soooo viel mitgenommen letztes Mal. Vor allem seelisch. Sooooo viel!!! Meine Frau war ganz neidisch!

Thomas: Die Kombination macht´s. Ernährung, Pflege und Bewegung. Ich hatte letztes Mal am ersten Tag dieses Kombi-Set "Fango-Mango". Der Wahnsinn. Ich habe 14 Mangos gegessen. Da spürst du dich von außen und innen. Das reinigt, sag ich dir. In Minutenschnelle. Und dann die Fangopackungswärme drauf. 3cm Bauchumfang waren weg.

Christian: An einem Tag?

Thomas: An einem Tag. Hab mich gefühlt wie eine Elfe.

Christian: Ich hab das "What-a-Feeling-Peeling-Paket" genommen.

Maximilian: Daaaas ist mutig.

Christian: Mutig?

Maximilian: Naja, da wird nichtmehr viel Haut übrigbleiben.

Thomas: Die reiben dir jede Schuppe vom Leib.

Maximilian: Jede einzelne Schuppe.

Thomas: Mit Bürste und Hobel.

Christian: Das klingt ganzschön brutal.

Thomas: Ist ja auch ein Männlichkeitsseminar.

Christian: Vielleicht brauche ich das auch gar nicht. Meine Freundin mag mich so wie ich bin.

Maximilian: Sagt sie. Aber wenn du einmal die glänzenden Augen gesehen hast. Wenn du duftend, gepeelt, mit Manipedi und enthaart vom Seminar zurückkommst, dann weißt du, dass gar nichts dran ist an dem "Kuschelbär" Geschwätz.

Thomas: Jetzt lass mal nachschauen, was wir so am Programm stehen, haben. Erster Tag ist der ganze Männlichkeitsmist. Baggerfahren, Stamperl trinken, Armdrückwettkampf, Ausklang im Club.

Maximilian: Ich habe echt schon überlegt, ob ich Migräne vortäusch und erst zu den guten Sachen einsteige.

Christian: Aber Club ist doch cool.

Maximilian: Naja... weißt du, da darf geraucht werden und dann braucht s am Samstag wieder 2-3 Kuren um den Gestank aus den Haaren zu kriegen. Die Zeit spar ich lieber und geh zur Hotstonemassage.

Thomas: Hotstone ist unschlagbar.

Christian: Ist das das Partnerding?

Thomas: Ganz genau. Da hab ich uns drei in die gleiche Kabine gebucht.

Christian: Und was ist das genau? Dieses Hotstone?

Thomas: Da legst du dich textilfrei auf einen Stein.

Christian: Nackt?

Thomas: Ja natürlich nackt.

Christian: Du, ich weiß nicht, ob mir das so recht ist. Also unter einem Männlichkeitsseminar hab ich mir echt was anderes vorgestellt als nackt auf einem Stein rumliegen.

Thomas: Naja, das ist ja auch noch nicht alles.

Christian: Ok. Also dann lieg ich nackt auf einem Stein. Und dann?

Thomas: Dann wirst du mit den anderen Steinen massiert.

Christian: Das tut doch weh!!

Thomas: Nein. Die sind rund, die Steine.

Christian: Na immerhin.

Maximilian: Manchmal wirst du auch ausgeklopft, mit den Steinen.

Christian: Ich lieg also nackt auf einem Stein und werde mit anderen Steinen ausgeklopft.

Maximilian: Genau. Und die sind warm, die Steine.

Thomas: Das ist total entspannend und die Wärme im Wechsel mit kalten Steinen ist ein Wahnsinn für dein vegetatives Nervensystem.

Christian: Mein vegetatives Nervensystem. Klar. Und was haben wir noch so vor uns?

Thomas: Egal was du tust, das Wichtigste ist: Am Morgen die Liege reservieren. Das steigert deine Lebensqualität um 50%. Wenn du von dem ganzen Mist wie Bogenschießen und Dart und so heimkommst, erstmal ne Runde in die Kneipanlage gehst und dann auf deine persönliche Liege kannst, dann schaut die Welt schon wieder ganz anders aus.

Christian: Ich bin ja eigentlich wegen dem Baggerfahren hier. Und das Bogenschießen klingt auch ganz gut.

Thomas: Hahahaa, so ging´s mir beim ersten Mal auch. Aber wenn du dann einmal den süßen Nektar des Wellnessbereichs gekostet hast, dann ist s vorbei mit dem urmännlichen Gehabe.

Maximilian: Solarium, Manipedi und du weißt, wo der Hammer hängt!

Thomas: Ladys, es ist schon 10 Minuten drüber.

Maximilian: Ok, dann müssen wir. Was macht´s?

Niko: Zusammen?

Christian: Naaaa.

Thomas: Doch. Zusammen.

Niko: Dann sind´s... 17,40.

Thomas (gibt ihr 100): Stimmt so.

Niko: Danke!

Sie gehen ab.